Klein, aber sexy: Der Nuova 500 wirkt heute wie ein Botschafter aus einer unbeschwerten Zeit. Sein Anblick ließ 1957 die Herzen der nach Mobilität dürstenden Automobilisti dahinschmelzen wie Stracciatella-Eis.
Klar war er in erster Linie natürlich praktisch, im Kern seines minimalistischen Auftretens aber auch witzig und smarter als alle seiner modernen Kopien. Denn der Fahrspaß, den der „Kugelblitz“ vor 50 Jahren bot, stand im diametralen Verhältnis zu seiner Größe.
Turin, 4. Juli 1957: Wo sich sonst unzählige Passanten, Fahrradfahrer, Vespas und Autos durch die Straßenschluchten der pulsierenden Metropole zwängen, kommt der Verkehr großflächig zum Erliegen. Doch das sonst so typische Hupkonzert bleibt aus. Ganz im Gegenteil: Die Betroffenen reagieren mit ungläubigem Staunen und begeistertem Applaus, sobald sie den Verursacher des Chaos entdecken – einen Konvoi aus 120 nagelneuen Fiat 500.
Mit der ausgefallenen Aktion präsentierte Fiat sein neuestes Modell erstmals der Öffentlichkeit. Gerade einmal 2,97 Meter lang und mit 1,32 Meter ebenso breit wie hoch, zog die „bella macchina“ die Passanten mit ihrem witzigen Scheinwerfer-Augenaufschlag in ihren Bann. Mit zunächst 13 PS – ab Oktober 1957 dann 15 PS – aus 479 Kubikzentimetern knatterte er geradewegs in die Herzen der Italiener. Und das hatte viele Gründe.
„Der Fiat 500 stellt eine vollkommene Verbindung dar zwischen moderner Großserientechnik und der Notwendigkeit, ein Auto zu bauen, das für die Mehrheit erschwinglich ist“, befanden 1959 die Juroren des „Compasso d’Oro“ und verliehen ihm folgerichtig diesen angesehensten Designpreis Italiens. Sie lobten die „mutige Entscheidung, auf die übliche Verzierung des Autos zugunsten einer gewissen Aufwertung der grundlegendsten Elemente und Ziele zu verzichten“. Diese Auffassung repräsentiere einen „wichtigen Schritt auf dem Weg in Richtung einer neuen, echten Ausdruckskraft der Technologie“. Mit anderen Worten: Der Fiat 500 verzichtete auf überflüssigen Schnickschnack und konzentrierte sich auf das Wesentliche – die beiden Grundlagen gelungenen Designs.
Wie anders, emotionaler, sahen ihn die Kunden! Sicher, auch sie schätzten die praktischen Vorteile des „Cinquecento“ – vor allem aber erkannten sie in ihm ein Auto mit Seele. Schon bald wuselten immer mehr der kleinen Herzensbrecher über die Straßen und Gassen des italienischen Stiefels. Doch nicht nur südlich der Alpen, auch in „Germania“ sorgte der Fiat 500 mehr und mehr für eine gehörige Prise „dolce vita“ im teutonischen Verkehrsgeschehen. Ende der 50er Jahre behauptete Fiat Deutschland im Segment der Fahrzeuge bis 0,5 Liter Hubraum einen Marktanteil von nahezu 40 Prozent – und das trotz mannigfaltiger Konkurrenz durch Goggo, Lloyd, Heinkel und Isetta. Die Nachfrage überstieg das Angebot deutlich.
Das Jahres-Highlight für die deutschen 500-Fans dieser Jahre. Die Fahrt in die Ferien. Im Sommer ging es mit Sack und Pack und einer Höchstgeschwindigkeit von 85 km/h zum Badeurlaub an den Gardasee oder nach Rimini. Dank Luftkühlung überstand der robuste Zweizylinder dabei auch steilste Alpen-Anstiege klaglos. Heckmotor und -antrieb garantierten beste Traktion. Das optionale Rolldach, über das praktisch jeder ausgelieferte Fiat 500 verfügte, sorgte im Handumdrehen für ungetrübtes Cabrio-Feeling.
Nicht nur in punkto Mobilität eröffnete der große Kleine übrigens neue Dimensionen: „Viele Italiener haben im Fiat 500 zum ersten Mal ein Mädchen geküsst“, soll der ehemalige italienische Ministerpräsident und Medienzar Silvio Berlusconi einst gesagt – und sich selbst dabei explizit eingeschlossen – haben. Auch in Deutschland erwies sich das Gefährt vielfach als beziehungsstiftend, wie nicht zuletzt der Ausdruck „Knutschkugel“ eindeutig zweideutig unterstreicht.
Apropos Kosenamen: Dass der Fiat 500 für seine Besitzer weit mehr darstellte als ein profanes Fortbewegungsmittel und fast wie ein Familienmitglied behandelt wurde, beweist die enorme Bandbreite liebevoller Bezeichnungen. Die Italiener übernahmen beispielsweise den Beinamen „Topolino“ (Mäuschen) seines Vorgängers und sprachen auch vielfach vom „Scatoletto“, dem Schächtelchen. Einige sahen in ihm sogar die „macchina più sexy del mondo“, also das „erotischste Auto der Welt“. Geklärt ist dabei nicht, ob sie das Auto selbst oder die Erlebnisse mit dem Auto meinten.
Mit derartigen Verniedlichungen hatte der im Spätsommer 1958 vorgestellte Fiat 500 Sport auf jeden Fall nicht mehr viel im Sinn. Seine knallroten Rallyestreifen auf weißem Lack machten auf den ersten Blick klar: Dieser „Cinquecento“ hat es faustdick unter der Heckklappe. Der um 20 auf 499 Kubikzentimeter vergrößerte Hubraum, eine „schärfere“ Nockenwelle, größere Ventile und weitere Feinarbeit am Triebwerk sorgten für eine Leistung von 21,5 PS – eine Steigerung von immerhin 6,5 Pferdestärken bzw. 43 Prozent im Vergleich mit dem Serienmodell. Grund genug für viele Fans, den Markennamen Fiat als Abkürzung für „Feuer in allen Töpfen“ zu interpretieren.
Als noch heißere Sportgeräte präsentierten sich die von Carlo Abarth modifizierten 500er. Der in Wien im Sternzeichen des Skorpions geborene Ingenieur und Motorenpapst entlockte den Triebwerken bis zu 26 PS. Dabei ließ der eigentlich auf den Namen Karl Abarth hörende ehemalige Motorradrennfahrer den Hubraum mit 479 ccm unverändert und setzte stattdessen auf eine höhere Verdichtung, einen größeren Weber-Vergaser, polierte Ein- und Auslasskanäle sowie einen Sportauspuff aus eigener Entwicklung. Derart gerüstet sorgte der Fiat 500 Abarth auf den Rund- und Rallyestrecken weltweit für Schrecken in seiner Hubraumklasse.
Beflügelt von diesem Erfolg präsentierte Abarth in den folgenden Jahren auch Versionen mit 583 und 689 Kubikzentimeter Hubraum, die bis zu 38 PS (!) leisteten und im Renntrimm bis zu 140 km/h schnell rannten. Auch andere Tuner entdeckten nach und nach den „Cinquecento“ als ideale Basis für Verfeinerungsarbeiten, so dass an sportlichen Straßen- und reinrassigen Rennmodellen keinerlei Mangel herrschte.
Parallel wuchs die Zahl der Karosserievarianten an. 1960 erweiterte beispielsweise eine auf den eher ungewöhnlichen Namen „Giardiniera“ (Gärtnerin) hörende Kombi-Version die Modellpalette. Darüber hinaus entwarfen viele der zu dieser Zeit noch zahlreich vertretenen selbständigen Carossiers teils aufregend gezeichnete, teils eher skurril anmutende Varianten. Viele Touristen werden den 500er beispielsweise kaum erkannt haben, wenn er in einer von Ghia umgebauten Version mit Gartenstühlen und einem Sonnensegel als Dach in den Badeorten der italienischen Riviera als Mietwagen oder Hotel-Taxi herumkurvte: Als „Fervès Ranger“ verfügte er über zuschaltbaren Frontantrieb und unterstrich seine Offroad-Fähigkeiten mit einer Karosserie im Jeep-Stil.
Deutlich eleganter setzten sich zum Beispiel die Cabrios von Vignale und Erina oder der Roadster aus dem Hause Viotti in Szene. Dieser teilte sich den Spitznamen „Froschauge“ mit einem nicht unbekannten – und zugegeben: offensichtlich als Inspiration dienendem – Modell des britischen Herstellers Austin. Unter verschiedenen von NSU in Heilbronn gefertigten Fiat-Modellen stach vor allem das zweisitzige 500-Derivat „Weinsberg“ hervor, das als Coupé und als „Limousette“, einer Mischung aus Coupé und Limousine, erhältlich war.
Alles in allem spielten diese Sonderanfertigungen unter insgesamt knapp vier Millionen Fiat 500 nur eine Nebenrolle. Am weitesten verbreitet und mit festem Stellplatz in unseren Herzen war und ist er in seiner ursprünglichen Form, als kleine Knutschkugel eben. Von deren Charme ließen sich im Laufe der Jahre auch zahlreiche Berühmtheiten bezirzen. Vor allem die italienische Haute Volée schmückte sich gerne mit dem kultigen Kleinen. So wusste etwa Sophia Loren die erotische Ausstrahlung der „macchina più sexy del mondo“ nochmals deutlich zu steigern. Frederico Fellini setzte der italienischen Automobil-Ikone 1971 in seinem Werk „Roma“ ein filmisches Denkmal. Und der wahrscheinlich berühmteste Glatzkopf der Welt, Yul Brunner, ließ sich in der Buggy-Version von Karosserieschneider Ghia gern die Sonne aufs blanke Haupt scheinen.
Aber auch unter Rennfahrern – einem Personenkreis also, der gemeinhin deutlich höhere PS-Zahlen gewöhnt ist – fanden und finden sich zahlreiche 500-Fans: Die argentinische Formel 1-Legende Juan-Manuel Fangio beispielsweise suchte sich nach dem Ende seiner Motorsport-Karriere einen Fiat 500 aus, um seinen Alltag zu „entschleunigen“. Den umgekehrten Weg ging einer seiner veritablen Nachfolger: Michael Schumacher war nach Erwerb seines Führerscheins zunächst am Steuer eines „Cinquecento“ rund um das heimatliche Kerpen unterwegs. Die dabei gesammelten Erlebnisse beeindruckten den siebenmaligen Formel 1-Weltmeister offensichtlich derart, dass er seiner Frau Corinna Jahre später einen gebrauchten „Fünfhunderter“ schenkte. Und auch Ferrari erweiterte den Fuhrpark seines Lieblingsangestellten aus Dankbarkeit für seine Verdienste um ein perfekt restauriertes Exemplar. Weit weniger Ansehen dürfte der Fiat 500 allerdings in Ganovenkreisen genießen: In zahlreichen Städten Italiens setzten die Carabinieri viele Jahre lang die wendigen City-Flitzer ein, um in den winkligen Gassen der Metropolen für Recht und Ordnung zu sorgen.
Auch wenn die Produktion des Fiat 500 1976 eingestellt wurde – noch heute sind Schätzungen zufolge allein in Italien rund 600.000 Exemplare putzmunter unterwegs. Auch die Sammlerszene in Deutschland erfreut sich unverändert regen Zulaufs und hegt und pflegt ihre Schätzchen liebevoll. Verschiedene Optimierungsmaßnahmen an der robusten und weitgehend anspruchslosen Technik führten jedoch ebenso wie optische „Verschönerungen“ dazu, dass im Detail praktisch kein Exemplar mehr dem anderen gleicht. Eines ist aber dennoch allen gemein: Der ursprüngliche Charme des Kleinen erobert auch heute noch spielerisch die Herzen der Betrachter.
Fiat Presse Dienst